„Jeder macht das, was er nicht kann“(Christine Wohlfahrt in „Dilldöppchen“) |
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ZeitnotDer Vater von Ayhan wird morgen früh Markus’ Siebensachen nach Salzburg bringen. Markus hatte Ayhan im letzten Jahr Nachhilfe in Mathematik und Physik gegeben, ohne dafür etwas zu verlangen. Er wäre sich schäbig vorgekommen, dem arbeitslosen Vater Geld abzunehmen. Doch dieser hatte nach jeder Reise in seine türkische Heimat Chris und Markus mit Paprika, Gewürzen und Pilzen versorgt und sucht sich nun auch durch die Umzugshilfe zu revanchieren. Die Kleidung ist schnell gepackt und lässt sich auch bei den wöchentlichen Heimfahrten leicht ergänzen. Aber da sind noch die Matratze, das Fahrrad und der neue Computer, den Markus für Salzburg angeschafft hat. Er denkt an Internettelefonie, um mit Chris ohne große Ausgaben den Kontakt halten zu können. Der PC hat eine Videokarte, sodass er auch als Fernseher zu nutzen ist. So wird Markus das Zimmerchen in der Wohngemeinschaft optimal nutzen können. Pünktlich um sechs Uhr steht Ayhans Vater vor der Tür. Der Autoanhänger ist schnell gepackt. Markus spürt Chris’ Wehmut beim Abschiedskuss. Zweieinhalb Stunden später liegt die Matratze bereits an ihrem neuen Platz in Salzburg neben Kartons, die Markus heute Abend auspacken wird. Er bedankt sich bei seinem Helfer und macht sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Einwohnermeldeamt. Das Einwohnermeldeamt liegt in der entgegengesetzten Richtung von seinem Arbeitsplatz, sodass Markus wieder an seinem neuen Heim vorbeiradeln muss, was sich gut trifft, denn so kann er einen wesentlichen Einkauf tätigen und ihn in der Wohnung abliefern: eine Klobürste. Heute früh hatte er festgestellt, dass dieses Werkzeug in der Männer-WG fehlt und die Toilettenschüssel entsprechend aussieht. Er findet zwar ein derartiges Gerät, doch ohne Auffang. Schließlich entschließt er sich, in einem Blumengeschäft einen passenden Keramikübertopf für die Bürste zu kaufen. Um zehn Uhr ist Markus endlich bei dna-tec. Als er seine Zeiterfassung überprüft, stellt er fest, dass er sieben Stunden im Minus ist. Gut, er ist letzte Woche zweimal früher gegangen, um sich um sein Quartier zu kümmern, aber das dürfte nur zwei Stunden ausmachen. Nachdem er die Statistik nachgerechnet hat, erkennt er, dass als Sollzeit nicht etwa die 38,5 Stunden angesetzt wurden, sondern sie mehr als 43 Stunden beträgt. Er fragt im Personalbüro nach. Christa Hedwig erklärt ihm, dass der Einfachheit halber die 20 Überstunden pro Monat in die Sollarbeitszeit mit eingerechnet werden. „Du hast ja einen All-inclusive-Vertrag.“ „Ach so“, antwortet Markus verständig, „dann ist alles klar.“ Alles eingeschlossen. Markus hatte das anders verstanden. Dass etwaige Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind, kennt er auch von anderen Firmen. Dass Überstunden erwartet oder angeordnet werden ebenfalls. Aber dass Überstunden ohne jeden konkreten Anlass vom ersten Tag an in die Sollarbeitszeit eingerechnet werden, dass also überhaupt keine Chance besteht, durch effizientes Arbeiten um die Mehrarbeit herumzukommen, erlebt er erstmals bei dna-tec. Schöne neue Zeit. Doch Markus ist klar, dass die goldenen Jahre der Informatiker vorbei sind. Viele hielten sich für etwas Besseres, nur weil sie mit dem Kopf anstatt mit den Händen arbeiten, aber die Realität hat sie eingeholt. Auf Dauer, so überlegt Markus mit grimmigem Lächeln, wird dieser Betrieb einen Betriebsrat benötigen, um die Ausbeuter in ihre Grenzen zu weisen. Doch er muss erst einmal einen sicheren Stand in dieser Firma gewinnen, bevor er sich als Gewerkschafter offenbart. |
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Zum Seitenbeginn | © Marinus Münster – Erstellt: 2010-03-06 |