Angeeckt

Markus sieht heute Werner Schimmelreiter zum ersten Mal. Die letzten Tage war dessen Schreibtisch verwaist. Werner ist von bulliger Statur, trägt streng zurückgekämmtes Haar und einen buschigen Schnurrbart.

„Du bist also der Linux-Freak“, begrüßt Schimmelreiter ihn.

„Nun ja, unter Linux lässt sich Software leichter entwickeln.“

„Aber die Kunden wollen alle Windows.“

„Ja, als Oberfläche. Aber was dahinter steckt, ist ihnen ziemlich egal. Wenn du zum Beispiel unsere Firmware nimmst, die läuft ja ganz versteckt. Da kannst du jedes Betriebssystem nehmen.“

„Linux in der Firmware wäre bei dna-tec wohl eine Revolution.“

„Ich sage ja nicht, dass man wirklich Linux nehmen sollte, aber Firmen, die technologisch ganz vorne sein wollen, sollten sich vor Revolutionen nicht fürchten.“

Werner verzieht sein Gesicht in alle Himmelsrichtungen, wechselt aber das Thema. Markus ist es nur recht. Offenbar hat er es hier mit einem kompromisslosen Microsoft-Anhänger zu tun, den er kaum würde überzeugen können. Für Markus zählt dagegen nicht der Verbreitungsgrad einer Software, sondern wie gut sie für den jeweiligen Zweck geeignet ist.

„Nein, ich bin Freiberufler“, antwortet Werner auf Markus’ Frage, ob er fest angestellt sei. Er berichtet, dass er in Hamburg sein Büro habe und auch noch einen Angestellten, der aber gerade seinen Wehrdienst ableiste.

„Das ist doch auch nicht ganz billig, in Salzburg zu arbeiten, aber in Hamburg das Büro und die Wohnung zu haben?“

„Ja, aber dna-tec muss auch was zahlen, obwohl die schon versucht haben, den Stundensatz zu drücken.“

Auch Robert Sturm ist Freiberufler. Er hat seinen Arbeitsplatz neben Markus und kommt um zehn Uhr fröhlich ins Büro. Sein Haar ist schon grau, aber füllig. Er ist schlank, aber muskulös. Die Bizepse scheinen keinen Platz in den Ärmeln seines ansonsten keineswegs engen T-Shirts zu haben und lassen sie nach oben rutschen. Markus ist mit Robert schnell auf einer Wellenlänge. Robert ist neugierig auf neue Technologien, will von Markus mehr über Ruby wissen.

„Ich bin noch etwas müde“, entschuldigt Robert sein Gähnen. „Gestern ging es noch bis eins in der Nacht.“

„Hier bei dna-tec? Gab es ein Problem?“

„Nein, bei mir im Büro, für einen anderen Kunden. Normalerweise arbeite ich nur bis elf.“

„Ah, du bist ein Spätmensch, ich verstehe“, nickt Markus. „Ich stehe lieber früh auf, damit ich irgendwann Feierabend habe.“

„Nun, um sieben geht’s bei mir los“, klärt Robert Markus lächelnd auf.

Da habe ich doch lieber eine 38,5-Stundenwoche mit begrenzter Überstundenzahl, denkt sich Markus.

Bei dna-tec bewerben sich derzeit mehrere Caterer um die Kantinenpacht. Jeder muss einen Monat lang zur Probe kochen und die Kantinengäste dürfen dann unter den Anbietern wählen. Aus der Diskussion am Mittagstisch entnimmt Markus, dass man bei dna-tec den billigsten bevorzugt.

„Ich zahle ja lieber für etwas Qualität“, gibt Markus zu bedenken, während er angewidert die verkochten Spaghetti herunterwürgt und sich sicher ist, dass das Hackfleisch für die eklige Soße direkt aus einem Schweine-KZ kommt.

„Eine Frage“, Werner grinst breit, „wer weiß, was Kantinenessen und Ehefrauen gemeinsam haben?“ Natürlich weiß es keiner. „Dass man lustlos darin herumstochert.“ Schallend lacht er los, die meisten lächeln nur höflich. Oh Mann, selbst dieses Kantinenessen ist allemal geschmackvoller als deine Witze, denkt Markus und schüttelt sich innerlich.

Nach dem Essen erzählt Dietrich Eckbauer Markus, welche Schwierigkeiten er mit dem Zusammenspiel zwischen seiner Software und der Firmware hatte. „Immer wenn die Firmware beschäftigt ist, geht nichts mehr. Wenn mein Programm dann zu schnell Anfragen schickt, hängt sich das ganze Gerät auf.“

Markus ist seit vielen Jahren Spezialist in Sachen Datenkommunikation und hat nach ein paar gezielten Fragen schon heraus, wo wohl der Fehler liegen könnte. „Da kannst du das Timing mit viel Tuning vielleicht immer noch so gerade mal hinbiegen, aber wenn der Kunde etwas anderes macht, hast du wieder ein anderes Zeitverhalten. Letztlich ist das uferlos.“

Dietrich und Markus gehen gleich zu Benedikt, der in der Firmwaregruppe die Kommunikationssoftware betreut. Er hat sie erst selbst kürzlich übernommen und freut sich, dass Markus einen Hinweis auf die Ursache der Probleme geben kann. Zur Lösung wäre jedoch eine grundlegende Überarbeitung des Datenübertragungsprotokolls erforderlich. Da müsste wohl Franz Millhofer, der Chef von Benedikt, mit einbezogen werden.

„Ob der da mitmacht?“, fragt sich Dietrich.

„Wieso?“

„Na, der ist ein bisschen eigenbrötlerisch. Der könnte das als Kritik an seiner Arbeit auffassen.“

„Nun, als Softwareentwickler muss man schon Kritik verkraften können. Aber wofür haben wir einen Chef? Der muss ja auch was zu tun haben.“

Dietrich und Markus tragen ihr Anliegen Kurt Läufer vor. Kurt will ein Meeting mit Franz organisieren, auf dem Markus’ Vorschlag der Überarbeitung des Protokolls diskutiert werden soll.

„Na, der Franz wird dir das um die Ohren hauen“, spöttelt Robert, als er davon erfährt.

„Er wird über kurz oder lang nicht darum herumkommen. So wie das Protokoll jetzt ist, laufen wir jedenfalls immer wieder in Probleme hinein“, meint Markus bestimmt.

„Aber da sind doch schon Hunderte Geräte beim Kunden, da kann man doch nicht überall die Firmware austauschen.“

„Muss man auch nicht. Das macht man nur, wenn sich ein Kunde beschwert, dass etwas nicht funktioniert. Diese Problemkunden kosten dich viel Zeit, wenn du ihnen keine saubere Lösung anbieten kannst.“

„Aber was ist, wenn du ein Softwareupdate einspielen musst und die Software das neue Protokoll, die Firmware aber das alte fährt?“

„Jedes gute Kommunikationsprotokoll erkennt den Versionsstand seines Gegenübers und fährt je nachdem eine ältere oder eine neuere Protokollversion.“ Markus wundert sich, wie wenig Know-how über Datenkommunikation bei dna-tec vorhanden ist. Die gleiche Frage hatte er vorhin erst Dietrich und danach Benedikt beantworten müssen.