Gundül

In Partbach ist Markus zunächst in die falsche Richtung gelaufen und hat Herrn Gundül, der ihn abholen wollte, nicht gefunden. Jetzt läutet sein Handy. Ein Techniker der Firma Brückner ruft ihn von Hoarsetalk aus an. Er will dort vor Ort deren Maschine installieren und bei der Datenübertragung gibt es immer wieder eine Fehlermeldung. Markus gibt ihm, während er zum anderen Ausgang läuft, zwei oder drei Tipps, woran es liegen könnte, und verspricht, heute Abend noch einmal Kontakt aufzunehmen. Nun entdeckt er einen beleibten Herrn, der in seinem zugeknöpften Sakko wie eine Wurst in der Pelle aussieht und tatsächlich dem Bild, das ihm Herr Gundül zugemailt hat, ähnelt.

„Herr Gundül?“

„Schön, dass Sie da sind, Herr Schlotterbek!“

In dem Mercedes Cabriolet fahren die beiden zum Institut für Selbstfindung, dem geräumigen Wohnhaus des Herrn Gundül. Herr Gundül scheint zu sich selbst gefunden zu haben. Bilder der Gruppe Blauer Reiter hängen an der Wand. „Sind die echt?“, fragt Markus ungläubig.

„Ja, schon“, lächelt Herr Gundül.

Wie bei geschäftlichen Erstkontakten üblich, stellen sich beide gegenseitig ihre Firmen vor. Herr Gundül ist darauf spezialisiert, Kurse zu verkaufen, vor allem Kurse für zukünftige Kursleiter, die wiederum Menschen vermitteln, wie sie anderen auf ihrer Suche zu ihrem eigenen Selbst helfen können.

„Aber das kann doch nicht endlos so weitergehen?“

„Nein, aber vielleicht sieben Ebenen.“

Markus rechnet im Kopf: zwölf Teilnehmer pro Kurs. Diese bilden wieder je zwölf aus, diese wiederum je zwölf, und so fort, sieben Ebenen sind zwölf hoch sieben, das müssen ja weit über zehn Millionen Endteilnehmer sein.

„Nun ja, vielleicht wird auch der ein oder andere das Wissen für sich selbst nutzen, ohne es weitergeben zu wollen.“

„Und Sie verdienen nur an dem ersten Kurs?“

„Nein. Da gibt es auch noch Fortbildungskurse und dann Lizenzgebühren für das Schulungsmaterial.“

„Und wofür brauchen Sie einen Softwareentwickler?“

„Um die Selbstfindung überzeugend rüberzubringen, müssen die Schulungsleiter natürlich eigene Persönlichkeit zeigen. Heutzutage gehört dazu eine gute Präsentation im Internet. Ich denke da an einen Homepagegenerator.“

Homepages vom Fließband für die Persönlichkeitsexperten. Lauter Textbausteine, vielleicht leicht abgewandelt mit persönlicher Note, tausendfach, zehntausendfach oder nach Gundüls kühnsten Träumen sogar millionenfach.

„Wir verkaufen diese Homepage dann zusammen mit dem Schulungsmaterial für rund zweitausend Euro an die Schulungsleiter. So billig kommen die sonst nie an so etwas ran“, schwärmt der Selbstfinder von seiner Geschäftsidee. „Sehen Sie, ich habe damit schon so meine Erfahrungen, mein Sohn ist Gebrauchtwagenhändler.“ Stolz führt Gundül zehn Homepages von Händlern vor, die angeblich einem „Ring bayerischer Automobilhändler“ angehören, hinter denen aber in Wahrheit sämtlich ein und derselbe Sohn Gundüls steht.

„Konkurrenz belebt das Geschäft“, grinst Gundül. „Und am meisten Vorteile hat man, wenn einem die Konkurrenz selbst gehört.“

In der Homepage des Rings kann man seinen Wagen unter den zehn Pseudohändlern versteigern und hat das Gefühl, ihn einem Meistbietenden verkauft zu haben. In Wahrheit steht dahinter nur ein einziger Bieter. Will man einen Wagen kaufen, wird einem das Gefühl vermittelt, sich das günstigste unter den Vergleichsangeboten herausgesucht zu haben. Einige teure Offerten scheinen nur zu diesem Zweck in den Listen enthalten zu sein.

„Sehen Sie“, erklärt Gundül stolz und legt sich die Wurstfinger auf die gepolsterte Brust, „ich weiß eben, wie man etwas verkauft. Die meisten Programmierer wissen überhaupt nicht, was der Geschäftsmann benötigt.“

Dann rückt er langsam damit heraus, was er von Markus erwartet. „Ich will eine eigene Softwarefirma gründen, um brauchbare Programme für solche Geschäfte zu entwickeln. Vielleicht können Sie mir dabei helfen.“

Natürlich kann Markus das. Die Frage ist nur, ob er das will. Herr Gundül kommt ihm doch etwas sehr zweifelhaft und schlitzohrig vor. Doch diese Zweifel behält er für sich, erzählt etwas davon, wie er sich Softwareentwicklung vorstellt, termin- und funktionsgerecht, sauber ausgetestet und pragmatisch. Dabei muss er an seine Frauenhaus-Statistik denken, die alles andere als ausgetestet ist. Aber gut, das war pragmatisch, denn für 1.500 Euro kann man auch kein halbwegs anspruchsvolles Programm erstellen, das bis in die Einzelheiten ausgetestet ist, außer man will als arme Kirchenmaus enden. Das will er bei Herrn Gundül jedenfalls nicht. „Mein Stundensatz liegt bei fünfundsechzig Euro“, erklärt Markus.

„Sie können ihn noch vervielfachen, indem Sie sich ihn in Form von Geschäftsanteilen auszahlen lassen“, schlägt Gundül vor.

„Vielen Dank!“, antwortet Schlotterbek freundlich. „Aber ich habe laufende Verpflichtungen. Und ich komme mit dem einfachen Stundensatz schon aus.“

Gundül ist wohl etwas enttäuscht, aber er akzeptiert.