Birnenentenarsch

In der schon warmen End-Februar-Sonne lässt es sich auf der Gartenbank an der Ostseite des Hauses gut sitzen. Chris und Markus trinken zusammen ihren Tröles und essen Butterbrote. Markus hat den Kaffee gekocht, während Chris ein paar Brote schmierte. Er hatte keine Antwort auf ihre Frage, warum er, während sie sechs Brote geschnitten, bestrichen und reichlich belegt hatte, es lediglich schaffte, zwei Tassen Tröles aufzubrühen. Hätte er sagen sollen, dass er noch mit den Gedanken bei dem Computer-Programm war? Jetzt muss ein anderes Programm her, ein Freizeit-Programm. „Was hältst du davon, wenn wir heute zum Wasserfall gehen?“, schlägt Markus vor.

„Du vergisst, dass das Haus aussieht, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Du bist heute mal mit Putzen dran.“

Markus brummelt: „So schlimm sieht es nun auch wieder nicht aus.“

Chris kommt ihm entgegen: „Aber die Idee mit dem Wasserfall ist gut. Wir machen erst den Hausputz. Dann gehen wir dahin. Man kann ja nicht immer nur von einem Topf in ’nen andern fallen und dazwischen schlafen!“

Es ist nur eine Stunde zu Fuß zum Wasserfall. Neben dem Steig plätschert der Bach zwischen den großen, rund geschliffenen Steinen mit ihren weißen Hauben, die vor dem Tauwetter noch eine geschlossene Schneedecke gebildet hatten. Dazwischen bezaubern immer wieder bizarr durchbrochene Eisscheiben, unter und zwischen denen das kristallklare Wasser gurgelt.

Sie kommen zur rechten Zeit. Während des Großteils des Tages liegt der Wasserfall im Schatten, aber jetzt lässt ein Streifen Sonnenlicht die tosende Brause in allen Farben schillern. Wo im Sommer unter dem Fall eine mannstiefe Gumpe ist, in der Chris und Markus, wenn sie alleine hier sind, gern baden, wie sie der Herrgott erschaffen hat, türmt sich jetzt ein drei Meter hoher Schnee- und Eisberg, auf den sich das Wasser ergießt.

Die beiden freuen sich über diese Naturschönheit und rufen wie kleine Kinder „Oh“ und „Ah“ und ziehen die Schuhe aus, waten vorsichtig auf den Kieseln bis zu den Waden in dem eiskalten Nass an den Wasserfall heran, um das aufsprühende Wasser der Kaskade auf Gesicht und Händen zu spüren. Markus zieht sogar Pullover und Hemd aus, um die feinen Tropfen auf seiner Haut zu fühlen. In solchen Augenblicken wissen die beiden ganz genau, warum sie in Sachn leben wollten, warum sie das alte Haus kauften, warum sie das Auto abschafften, warum sie so viele Jahre sparsam wie arme Studenten lebten, jeden übrigen Heller auf die Bank trugen, um das Haus abzubezahlen, warum sie auf ihren seltenen Reisen immer nur zelteten. Wofür verreisen, wofür ein Auto, wenn sie zu solch wunderbaren Schauspielen zu Fuß gehen können?

Mit einem etwas wehmütigen Blick verabschieden sie sich, stapfen den Steig hoch, um über die Grasleiten und dann durch den Wald den Rundweg zu vollenden. Am Ende steht die Belohnung für die kleine Strapaze, das neu eröffnete Bauerncafé. Die Bäuerin ist eine Meisterin im Backen von Kuchen und Erschaffen von Torten, obwohl sie keinerlei Konditorlehre vorzuweisen hat. Sie bäckt wie ihre Mutter, verzichtet aber auf jene übermäßigen Mengen an Zucker, die jedes bayerische Backbuch vorschreibt, und hat damit Erfolg. Es ist schwierig, an einem Sonntagnachmittag einen Platz in der Gaststube zu ergattern. Chris und Markus rutschen mit auf die Bank an einem Tisch, an dem schon acht Leute sitzen.
Chris beobachtet gern Leute, lauscht ihren Gesprächen, schätzt ihre Charaktere ein, lästert genüsslich, vor allem übe – ihrer Meinung nach – geschmacklos-trendige Outfits. Markus hat den Mail-Entwurf an Peter und eine Postkarte vom Wetterstein herausgezogen, schreibt den Text ab und formuliert um. Chris stupst ihn an und flüstert ihm zu: „Sie dir die da an! Das ist ja nicht mehr einfach nabelfrei, das ist unten ohne, so tief, wie die Hose hängt.“

Markus lächelt nur: „Lass sie doch. Wenn’s ihr gefällt.“ Eine andere blonde Schönheit wedelt zur Tür herein, zieht rund ein Dutzend bewundernde Männeraugenpaare und wenigstens ebenso viele abschätzige Frauenblicke auf sich und setzt sich an den Nachbartisch.
„Ja, du hast ihnen gefallen mit deinem Birnenentenarsch“, kommentiert Chris.

Markus zwingt sich, nicht lauthals loszuprusten, und verschluckt sich fast an dem Kaffee.