Lautes Schreien unterbricht das Gespräch. Angestrengt schaut Wolfgang Hillebrand in die Richtung, aus der das Geschrei kommt. Er traut seinen Augen nicht, als die ganze Kolonne wie von Teufeln gejagt zwischen den Spargeldämmen hindurch auf den Feldweg zurennt. Sie haben alles stehen und liegen gelassen, einige fuchteln mit dem Messer herum, als wollten sie die Luft erdolchen. Die Entfernung ist zu groß, um erkennen zu können, was die Erntearbeiter in Panik versetzt hat. Hillebrand packt Mariusz an der Schulter und treibt ihn vor sich her. Die Meute hat den Feldweg erreicht und stürmt auf den Hof zu. Einige schlagen wild um sich. Als sie nah genug heran sind, sieht der Bauer endlich, was sie aus der Fassung gebracht hat. Ein Bienenschwarm ist hinter ihnen her. Mariusz ist gleich in seinem Element. „Musste so kommen. Bienen zu nah.“
Bis der aufgescheuchte Hühnerhaufen bei Hillebrand angekommen ist, lassen die Bienen von ihren Opfern ab. Er versucht, so gut es geht, seine Leute zu beruhigen. Vor allem die Frauen sind mehrfach gestochen worden und jammern laut. Nur Melinka ist mit dem Schrecken davongekommen und kümmert sich um sie. Irina sieht besonders schlimm aus, stößt sie aber weg, als sie ihr helfen will. „Verschwinde, Melinka. Lass mich in Ruhe.“
Der Bauer stiefelt ins Haus und sucht vergeblich nach der Notfallapotheke. „Immer, wenn ich meine Frau brauche, ist sie nicht da“. Schon während er das sagt, weiß er, wie falsch dieser Ausspruch ist. Gretchen kümmert sich im Allgemeinen rührend um die Polen und er sollte den Platz, an dem sie den Kasten mit den Medikamenten aufgehängt hat, eigentlich kennen.
An diesem Tag ist die Erntearbeit gelaufen.
Der Bauer schäumt vor Wut. Dieser verdammte Hobbyimker, dessen Bienenhaus in direkter Nachbarschaft zum Spargelfeld steht, ist ihm schon lange ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass in den Gärten der angrenzenden Siedlung die höchsten Bäume den Spargel beschatten und den Einsatz von Maschinen behindern, jetzt werden seine Arbeiter auch noch von wild gewordenen Bienen gejagt. Es reicht. „Du bringst wieder Ordnung in den Laden“, weist er Mariusz an und macht sich wutentbrannt auf den Weg zu dem Verursacher der Katastrophe. Da Gretchen mit dem Wagen unterwegs ist, springt er auf einen kleinen Traktor und steuert das Gefährt wie ein riesiger, zürnender Racheengel in Richtung Teutonenring zum Reihenhaus der Familie Brück. Herr Brück ist seit zwei Jahren pensioniert und hat seitdem seine Bienenzucht kontinuierlich ausgebaut. Ein Wunder, dass es nicht schon vorher zu einem Zusammenstoß zwischen den Spargelstechern und diesen stachelbewehrten Insekten gekommen ist.
Mit lautem Quietschen hält Hillebrand vor der Nummer 83, klettert stöhnend vom Traktor herunter und klingelt Sturm.
Frau Brück reißt die Tür auf und starrt auf den Bauern als stünde ein Geist vor ihr. „Kommen Sie schnell herein. Ich muss wieder in den Garten und meinem Mann helfen. Die Bienen sind unruhig.“
„Inzwischen sind sie auf Polenjagd“, erwidert Hillebrand sarkastisch. „Deshalb bin ich hier!“
Frau Brück ist schon nach hinten zurück in den Garten geeilt und hört ihn nicht mehr. Hillebrand bleibt nichts übrig, als ihr zu folgen, auch wenn er zur Zielscheibe für die nervösen Bienen werden könnte. Sein Vertrauen in die Künste des Imkers hält sich in Grenzen, zumal der wohl wenig Erfahrung mit aufgescheuchten Bienen hat. Er erinnert sich mit Grauen an Bilder in einer Illustrierten, auf denen Menschen von oben bis unten von einem Bienenschwarm bedeckt waren.
Brück steht in vollem Ornat bei seinem Bienenhaus, als Hillebrand näher kommt. „Was machen Sie da eigentlich? Die Polen sind vor Ihren verrückten Bienen geflüchtet als wäre Dschingis Khan persönlich hinter ihnen her.“
Brück reagiert nicht.
„Wer bezahlt mir den Verdienstausfall?“, setzt der Bauer nach.
Hektisch hantiert der Imker an der Rückseite des Bienenhauses und nimmt überhaupt nicht wahr, was um ihn herum vorgeht. Hillebrand schaut sprachlos auf Hunderte von Bienen, die einen Angriff nach dem anderen auf Brück starten, aber an dessen Schutzkleidung erfolglos abprallen. Bei mir hätten sie mehr Erfolg, denkt er und wagt sich nicht näher heran. Auch Frau Brück traut sich nicht, ihren Mann auf Hillebrand aufmerksam zu machen. So warten sie ab, bis Brück die Hinterwand wieder am Bienenhaus anbringt. Erst jetzt bemerkt er den Bauern und hebt den Gesichtsschutz an.
„Was wollen Sie denn hier?“, fragt Brück.
Hillebrand wiederholt seine Geschichte von der panischen Flucht seiner Erntearbeiter.
Brück entschuldigt sich. „Ich habe geschleudert. Den Bienen gefällt es nicht, wenn ich mich über ihre Waben hermache. Es tut mir leid, dass sie auf ihre Leute losgegangen sind.“
„Mir auch. Der Arbeitsausfall geht auf meine Kosten. Ich kann doch meine Leute nicht in Schutzkleidung stecken.“
„Tut mir leid“, antwortet Brück zerknirscht. „Ich werde mich in Zukunft mit Ihnen absprechen.“
Hillebrand beruhigt sich allmählich. Er will letztlich keinen Krach mit seinen Nachbarn, die Spargel bei ihm kaufen.