„Jeder macht das, was er nicht kann“(Christine Wohlfahrt in „Dilldöppchen“) |
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Die GrippeEs ist nicht das erste Mal, dass Politiker die Angst vor einer neuen Seuche für Schachzüge zu missbrauchen suchen. Alle Argumente für einen vernünftigen Umgang mit AIDS waren bereits bekannt, als hochrangige CSU-Politiker Zwangs-HIV-Tests für Einwanderer und Gefängnisinsassen diskutierten und gegen Homosexuelle mobil machten. Sie hatten diese Parolen von Rechtsradikalen übernommen, die ihre Chance schon immer darin sahen, auf Wellen von Ängsten vor unbekannten Bedrohungen neuen Erfolgen entgegenzureiten. Doch die damalige Gesundheitsministerin Süßmuth von der CDU brachte den CSU-Wellenreiter Gauweiler, der bei der Kampagne an der Spitze stand, ins Straucheln. Mit sachlicher Aufklärung setzte sie einen menschlichen Umgang mit der Krankheit durch, der AIDS und Gauweiler keine Chance gab, verständliche Seuchenangst in dumpfe Homophobie und Fremdenhass zu wandeln. Man sollte meinen, es sei gut, dass die bekannte Tatsache, dass die Grippe eine der gefährlichsten Seuchen der Jetzt-Zeit ist, jetzt ins Bewusstsein der PolitikerInnen gedrungen ist, und sie damit vielleicht die Prioritäten richtig sehen. Doch das war’s auch schon mit dem Einzug der Vernunft. Wahlen lassen sich eben nur mit Gefühlen gewinnen und dafür eignen sich Angst und Hass, Panik und Eigennutz genauso gut wie Mitmenschlichkeit, Tierliebe und Sehnsucht nach Frieden. So nutzte der bayerische Minister Schnappauf die Expertenwarnungen vor einer Ausbreitung der Vogelgrippe durch Zugvögel zu einem aktionistischen Schachzug. Er drohte der Bundesregierung mit einem Alleingang bei der Aufstallung von Geflügel, sollte diese sie nicht bundesweit anordnen. Die rot-grüne Bundesregierung, politisch ohnehin am Ende – wenn auch weniger wegen der Umwelt und Gesundheitspolitik als wegen ihrer Agenda 2010 –, wollte sich nicht nachsagen lassen, die Seuchenbekämpfung zu vernachlässigen, und tat wie geheißen. Im zuständigen Bundestagsausschuss war zuvor vorgeschlagen worden, doch wenigstens die Regionen von der Stallpflicht auszunehmen, die nicht unter den wohlbekannten Vogelfluglinien liegen. Doch bei der ausgedienten Bundesregierung verhallte selbst dieser Vorschlag ungehört. Der Bauernverbandspräsident Sonnleitner beschränkte seinen Einsatz für die Freilandbauern darauf dafür zu plädieren, dass diesen nicht das Label „Freilandhaltung“ aberkannt werden solle, wenn diese doch „nur so kurze“ Zeit ihr Geflügel einschlössen. Nachdem nun auch die Aufstallung für das Frühjahr diskutiert wird, zeigt sich, dass damit nur ein Etikettenschwindel erreicht worden ist. Die Bio-Verbände wollten sich nicht in die Verweigerer-Ecke stellen. Es gab ja auch nicht wenige BäuerInnen, die um ihre Tiere fürchteten, sei es wegen einer möglichen direkten Ansteckung, sei es wegen der angedrohten Keulung allen freilaufenden Geflügels im Umkreis bei einem einzigen Infektionsfall in der Nachbarschaft. Diejenigen, denen es eine Gewissensfrage ist die Tiere, von denen sie sich ernähren, artgerecht zu halten, tauchten ab, sahen sich doch mit einer Strafandrohung von 25.000 Euro konfrontiert, sollten sie sich dem Dekret widersetzen. Kein Wunder, dass es im Fernsehen kein einziges Interview mit einer GegnerIn der Stallpflicht zu sehen gab. Lag es am Fernsehen? Gibt es überhaupt GegnerInnen? Es gibt sie. Es gibt jene, die ihre Tiere zähneknirschend in den Stall sperren und wissen, dass sie die Zucht aufgeben werden, sollte es nicht bei dem einen Mal bleiben. Es gibt andere, die Netze über die Gehege spannen und sich damit willig aber unwissend geben, um so einer hohen Geldbuße zu entgehen. Andere lassen ihre Hühner weiter laufen und warten bewusst ab, bis sie eine NachbarIn denunziert, und weigern sich damit, durch vorauseilenden Gehorsam die UrheberInnen der Grausamkeit aus ihrer Verantwortung zu entlassen. So wurde von allen Seiten die Debatte umgangen, ob denn überhaupt das Einsperren der Vögel Sinn macht und ob es vertretbar ist. Warum ist es schlimm, das Geflügel während der Reisezeit der Zugvögel in Ställe zu sperren? Vögel gehören von Natur aus zu den Spezies, die am meisten Freiheit brauchen. Das gilt auch für Laufvögel. Sie haben im Gegensatz zu vielen anderen Arten keine Beißhemmung. Wenn sie sich beengt fühlen, hacken sie auf ihren Artgenossen herum, bis diese das Weite suchen. In der Nacht und im Winter rücken sie gerne im Stall zusammen, aber wenn draußen kein Schnee liegt und es hell ist, ist jede Stallhaltung eine Quälerei. Es sieht überhaupt nicht danach aus, als ob der Spuk bald vorüber wäre. Nach der ersten Aufstallung wird nun die nächste für das kommende Frühjahr angekündigt. Da die Vogelgrippe kaum so einfach verschwinden wird, würde zumindest auf viele Jahre hinaus das Geflügel einen Großteil der Zeit, in der es in Freigehegen laufen könnte, in Ställe gepfercht. Man kann vertreten, Tiere zu essen. Denn auch Tiere essen Tiere. Man kann aber ohne Grausamkeit nicht vertreten, Vögeln ein Leben lang ihr dringendes Bedürfnis nach Bewegung und Platz zu versagen. Deshalb werden diejenigen GeflügelhalterInnen, die ihre Tiere lieben, die Zucht früher oder später einstellen. Politisch ist besonders schlimm, dass damit jene wenigen Geflügelscharen ausgelöscht werden, die zeigten, wie Haustiere artgerecht gehalten werden können. Der moderne Stadtmensch kennt nur noch den Schoßhund und die Wohnungskatze, ansonsten die anonyme Mastgans aus dem Tiefkühlfach. Wenn selbst beim Urlaub es auf dem Bauernhof keinen krähenden Hahn mehr gibt, wie sollen dann unsere Kinder jemals bemerken, was sie den Kreaturen in den Legebatterien antun, wenn sie Käfigeier essen? Kann denn die Stallpflicht überhaupt gegen die Gefahren der Vogelgrippe helfen? Wir haben etwa 10 Millionen frei gehaltene Vögel in Deutschland. Wie viele wilde Vögel gibt es dagegen in unserem Land? Sicherlich kommen mehrere auf jede BundesbürgerIn, deren es 80 Millionen gibt. Diese einfache Rechnung zeigt, dass die frei laufenden Vögel in Gehegen nur einen kleinen Bruchteil aller von Infektion bedrohten Vögel darstellen. Ist dies dem nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsminister bewusst gewesen, als er forderte, wenn der Staat den GeflügelhalterInnen auferlege, ihre Tiere einzusperren, sollten die Kommunen nun doch auch das ihre tun und freifliegende Wasservögel einfangen und in kommunalen Gebäuden unterbringen? Die Unmöglichkeit dieser Forderung wurde schnell erkannt und der Herr Minister zurückgepfiffen. Es hätte auch kaum etwas gebracht, weil Spatzen, Meisen und Tauben nicht dabei gewesen wären. Falls es aber wirklich kranke Zugvögel nach Deutschland schaffen sollten, sollten wir dann nicht besser einsehen, dass es unmöglich ist, die Ausbreitung der Vogelseuche hier zu verhindern? Sind erst einmal die wilden Vögel infiziert, kommt man der Vogelgrippe nicht mehr bei, es sei denn – ich mag den Gedanken kaum zu Ende denken – wir gingen den fatalen Weg der Ausrottung aller Vögel. Dieses Szenario lässt sich leider kaum ausschließen, nachdem wir wissen, zu was deutsche Regierungen im letzten Jahrhundert fähig waren. Deshalb und um gegen eine solche „Endlösung“ vorzubauen, frage ich, ob sie wirklich helfen könnte, das Eindringen der Seuche zu vermeiden. Würde sich nicht dennoch irgendwo auf der Welt der Supervirus bilden, der die eigentliche Gefahr für die Menschen bildet? Würde der Erreger dann nicht durch illegale Geflügelimporte eingeschleppt werden? Und was wären die Auswirkungen? Welche ökologische Katastrophe würde heraufbeschwört werden? Würden wir nicht die Lebensgrundlagen von weitaus mehr Menschen gefährden, als von der Vogelgrippe bedroht werden? Nehmen wir ein anders Szenario: Die Vogelgrippe verbreitet sich unter den Vögeln der Welt, viele Vögel werden sterben, aber längst nicht alle. Allmählich werden die Tiere gegen den neuen Erreger immun und die Seuche wird abebben. So dürfte es unter dem wild lebenden Geflügel laufen. Unter den in Massen gehalten Hühnern dagegen könnte sich die Krankheit vor allem für deren HalterInnen fatal auswirken. Freilandhühner wären der Ansteckung zwar als erste ausgesetzt, aber auch wegen ihrer robusteren Gesundheit am ehesten in der Lage einen Immunschutz aufzubauen. Solidarische Hilfen für betroffene Betriebe könnten deren Ruin verhindern. Doch wie sieht es mit dem Supervirus aus, jener gefährlichen Mutation, die zu erwarten ist, wenn sich die Vogelgrippe mit einem menschlichen Grippevirus kreuzt? Es wird spekuliert, dass dieser dann ansteckend wie der menschliche Virus, aber tödlich wie der Vogelvirus sei. Aber stimmt das auch? Erst kürzlich wurde entdeckt, dass manche Menschen zwar Antikörper gegen die Vogelgrippe entwickelt, aber keine Krankheitsanzeichen gezeigt haben. Kann das auch mit dem Supervirus passieren? Würden dann diese Menschen, ohne es zu merken, die Krankheit verbreiten, oder würde es einfach bedeuten, dass die Sterblichkeit bei einer Infektion wesentlich geringer wäre, als angenommen? Gerade weil unser Wissen begrenzt ist, sollten wir sowohl die Gefahr ernst nehmen, andererseits aber keinen unüberlegten Schaden anrichten. Es gibt durchaus Alternativen zum Einsperren des Geflügels: Zur Gefahrenabwehr sollten wir vor allem jene gefährlichen Kreuzungen von Vogel-, Schweine- und Menschengrippeerregern zu verhindern suchen, die schon seit vielen Jahren für immer neue Grippewellen sorgen. Das Problem ist vor allem in dicht bevölkerten Regionen der Erde zu suchen, in denen die Tiere und Menschen eng zusammen leben. Hilfsmaßnahmen sollten darauf zielen, diese Art von Landwirtschaft in weniger besiedelte Gebiete zu ziehen und in den Städten für mehr Hygiene zu sorgen. Vielleicht werden wir auch in europäischen Großstädten in der U-Bahn Mundschutz tragen müssen. Wir sollten die Klimaanlagen in Zügen unter die Lupe nehmen, damit nicht eine PassagierIn alle anderen anstecken kann. Wir dürfen mit Grippe und auch grippalen Infekten – man kann dies am Anfang schlecht unterscheiden – nicht mehr zur Arbeit gehen. Wer mit Geflügel zu tun hat, muss die Hygiene beachten wie ein Arzt. Vielleicht könnten auch Impfaktionen von Mensch und/oder Tier, wo diese dicht aufeinander treffen, die Gefahr der Bildung des Supervirus verringern. Aber wird es eine absolute Sicherheit geben? Müssen wir nicht auch akzeptieren, dass mit zunehmender Überbevölkerung der Erde durch Menschen, die Natur diese durch Seuchen reguliert, weil wir darin versagt haben, diese Regulation selbst vorzunehmen? Müssen wir nicht einsehen, dass wir dagegen machtlos sind? Oder meinen wir wirklich, einen „Krieg gegen die Natur“ gewinnen zu können? Sollten wir diesen Krieg jedoch versuchen, benähmen wir uns jedenfalls nicht wie die „Krone der Schöpfung“, sondern verhielten uns selbst wie Parasiten an der Natur, wie eine Seuche. Aber immerhin könnte dann BILD schreiben: WIR SIND GRIPPE! |
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Zum Seitenbeginn | © Marinus Münster – Erstellt: 2009-12-15 |