In der „Tarantel – Zeitschrift für Kultur von unten“, Oktober 2006, schreibt Georg Walz:

Marinus Münster, Die Seuche, Geest-Verlag
ISBN 386685-011-5, 10 EUR

Ruhig ist es geworden. Wilder Aktionismus und Panikmache sind vorbei. Die Medien haben neue Themen im Visier. Ist das Virus Subtyp A/H5N1, besser bekannt unter dem Namen Vogelgrippe besiegt? Drastische Maßnahmen, wie eine gesundheitspolitisch verordnete Kontaktsperre zwischen den Zugvögeln und unserem heimischen Hausgeflügel sind uns noch bestens in Erinnerung. Da sich das Wanderverhalten der Zugvögel nicht reglementieren ließ und die Verhängung einer Einreisesperre, ebenso wenig wie eine massenhafte Abschiebung, nicht durchführbar war, blieb unseren verantwortungsbewussten Politikern nur die Maßnahme einer Ausgangssperre für das heimische Federvieh. Unpopulär, aber effektiv aus Sicht der Experten. Bei der Entscheidung wurde nicht außer Acht gelassen, dass es sich bei den Betroffenen lediglich um eine Minderheit handelte. Der Großteil der agrar-industriellen gehaltenen Geflügeltiere vegetiert von Geburt an in enger Käfig- oder in der nur unwesentlich besseren Stallhaltung. Geschützt vor Ansteckung durch Kontakt mit den Wildvögeln. Und in den Fällen, in denen der Stallarrest nicht zum gewünschten Ergebnis führte und die Viren trotzdem den Weg in die Ställe fanden, kam als ultimatives Mittel das Keulen zum Einsatz. Mehrfach wurden Hühnerställe durch vorbeugende Tötungen geleert, sofern im weiteren Umfeld ein Grippefall aufgetreten war. Maßnahmen, auf den Weg gebracht von Politikern. Beschlossen und durchgeführt, um die Karriere zu sichern und das Gewissen zu beruhigen. Den besorgten und verängstigten Menschen im Lande wurde signalisiert. Wir tun etwas! Bleibt zu hoffen, dass die jeweilige amtierende Gesundheitsministerin nicht eines Tages der Idee verfällt, auch uns Menschen eine Ausgangssperre, Kontaktsperre oder gar Schlimmeres verordnen zu können, um uns vor der kommenden Grippewelle zu schützen oder diese in den Griff zu bekommen.

Satirisch mit ernstem Hintergrund, werden in den Kurzgeschichten die Facetten und Auswirkungen der Vogelgrippe hinterfragt. Engagiert zeigt der Autor aus unterschiedlichen Perspektiven auf, wie fatal unüberlegte und vorschnelle Handlungen sein können.
Ob es dabei hilfreich ist, dass der vor das Licht geführte Agrarminister von diesem, als Huhn in eine Legebatterie auf die Welt zurückgeschickt wird? Im Drahtkäfig eingesperrt, niemals die Sonne sehend, wird er viel Zeit haben, sich einsam gackernd und Eier legend Gedanken darüber zu machen, welche Auswirkungen die, während seiner Amtszeit getroffenen Entscheidungen haben.

Er hätte wohl besser in seinem bewegten ersten Leben dem Stiegenhausratsch zugehört. Dort diskutieren drei Frauen die Auswirkungen der Vogelgrippe und erörtern geeignete Maßnahmen um das eigene Umfeld zu schützen. Wobei die unterschiedlichen Meinungen in der allseits geäußerten Hoffnung gipfeln, „sie“ wird uns schon verschonen. Auf eine gewisse Unbekümmertheit lässt auch das Putenschnitzel, das bei Claudia mittags in die Pfanne kommt, schließen. Gebraten ist es ja unschädlich.

Da ist es beruhigend, dass ein neues Grippemittel gegen die Pandemie präsentiert wird. Da es vor allem den Umsatz des Pharmaunternehmens ankurbeln und gewaltig steigern soll, ist die Wirkung eher nachrangig. Obwohl das Ergebnis durchaus als positiv zu betrachten ist. Verkürzt es doch den Krankheitsverlauf um einen Tag – vor Exitus.

Wachsame Nachbarn sind für das Funktionieren einer guten Gemeinschaft äußerst hilfreich. Karl sieht dies anders. Jemand hat ihn angeschwärzt. Dafür, dass ihm seine 15 Hühner leid getan haben. Er diese, trotz strikter Aufstallung, frei laufen ließ. Sie kannten nur die Freiheit und wären ihm eingegangen. Nun erwägt er ernsthaft, seine Tiere zu töten, um ihnen diese elende Quälerei im Stall zu ersparen. Dann ist Ruhe.

Doch die Ruhe ist trügerisch. Auch wenn dem Virus die sommerlichen Temperaturen in unseren Breiten zugesetzt haben. Irgendwo weltweit schlummert es und wartet auf seine Stunde. Erneut zu mutieren und sein bevorzugtes Wirtstier und natürliches Reisemittel, wild lebende Enten und andere größere Wasservögel, neuerlich zu nutzen. Damit der Vogelzug es erneut über alle Grenzen hinweg in die Ängste der Menschen trägt.

Meine Empfehlung – nicht bis zum Ausbruch der nächsten Pandemie warten. Jetzt lesen und den eigenen engen Blickwinkel um einige Grade erweitern.