Verhandlung

Wir wissen längst, wer da im Konferenzraum zusammensitzt: Hannibal Kappes, der Eigentümer, und Dr. Geizdorf, sein Freund, sind gekommen und diskutieren mit Manuel. Jedenfalls hat Hannibal Kappes Dr. Geizdorf so („er ist ein Freund“) gegenüber Ronja Wulff, der Sekretärin, eingeführt.

„Die sind ziemlich unhöflich gewesen“, hat Ronja berichtet, „marschieren da einfach rein und sagen nicht, wer sie sind.“ Aber Ronja lässt sich nicht so leicht was bieten. Sie hat darauf bestanden, zu wissen, wen sie vor sich hat. „Da könnte ja jeder kommen!“

Um die Mittagszeit kommt Franz-Josef vorbei. „Manuel hat angerufen. Er bittet den Betriebsrat zu einem Gespräch um 14 Uhr.“

Georg, Franz-Josef und ich sprechen uns ab. Es kommt in dem Gespräch darauf an, möglichst konkret etwas über die Pläne zu erfahren. Wir nehmen uns vor, zu lächeln und innerlich „Cheese“ vor uns her zu sagen und darauf zu achten, die Arme nicht zu verschränken und freundlich zu sein. Und wir wollen fragen, fragen, fragen und um nähere Informationen bitten. Natürlich werden wir – egal was sie von sich geben – nicht gleich eine Stellungnahme abgeben können, da wir darüber ja erst beraten müssen.

Um 14 Uhr stehen wir vor dem Konferenzraum. Manuel kommt gerade heraus und erklärt: „Die sind noch nicht soweit. Ich rufe dann noch mal an. Geht das?“

Natürlich geht das. Sind wir ja gewohnt. Wir marschieren wieder ab und, kaum dass wir unten sind, werden wir von Ronja angerufen: „Die warten auf euch!“ Wir also wieder hoch und diesmal rein in den Konferenzraum. Hannibal Kappes ein kräftig gebauter freundlich dreinschauender älterer Mann und Dr. Geizdorf, ein großer hagerer Endfuffziger mit braungebrannter lederartiger Haut und schlohweißen, seitlich über die Stirnglatze gekämmten Haaren schütteln uns die Hand.

Hannibal Kappes: „Ich möchte mich entschuldigen, dass wir Sie haben warten lassen.“ (Oh, solche Höflichkeit sind wir aber nicht gewohnt.) „Das war ein Missverständnis. Wir haben nur auf Sie gewartet und Sie, wie ich höre, auf uns.“

Und weiter: „Ich möchte uns zunächst vorstellen. Wie sie vielleicht wissen, gehört mir diese Firma seit April dieses Jahres und ich bin auch Vorsitzender des Aufsichtsrats. Herr Dr. Geizdorf, ist … nun ja … er ist mein Generalbevollmächtigter. Ich möchte Sie auch darüber informieren, dass Herr Kaufmann mit dem Ablauf des heutigen Tages nicht mehr Angehöriger Ihrer Firma ist. Wir haben uns mit ihm auf einen Auflösungsvertrag geeinigt.“

Und dann fügt er hinzu: „Ich möchte Sie um ein Stillhalteabkommen bitten, damit nicht das, was wir heute besprechen, morgen in der Süddeutschen steht.“

Er wartet gar nicht unsere Antwort ab (mir nur recht) und erteilt gleich seinem „Generalbevollmächtigten“ das Wort.

„Ich möchte mich zunächst ein wenig vorstellen: Ich habe als Vorstandsvorsitzender von Wurstecher die Sanierung dieses Unternehmens durchgeführt. Dort habe ich auch Herrn Kappes kennen gelernt. Dann war ich später als Sanierer in der Baubranche tätig. Da habe ich natürlich auch einige Kämpfe mit der Gewerkschaft ausgetragen. Aber Sie gehören hier ja wohl zur IG Metall. Die ist ja nicht so schlimm.“

Ich weiß ja nicht, denk ich mir, mit welchen Metallern du zu tun hattest. Aber uns kriegst du jedenfalls nicht so schnell klein. Cheese

„… Als Erstes möchte ich Sie beglückwünschen zu Ihren Betriebsvereinbarungen …“ Geizdorf wedelt mit ein paar Blättern, vermutlich die Vereinbarungen Gleitzeit, Überstunden und Langzeitkonten. „… Ich habe noch nie solche Vereinbarungen gesehen, bei denen der Betriebsrat sich so 150-prozentig durchsetzen konnte …“

Franz-Josef räuspert sich und wirft ein: „Na ja, das waren bei weitem keine 100 Prozent.“

Geizdorf: „… Aber das sind ja doch die reinsten IG-Metall-Mustervereinbarungen. Nun ja, ich hoffe jedenfalls, das sich das ändert. In Zukunft sollten wir mehr Kompromisslösungen finden.“

Jetzt kommt er langsam zur Sache: „Wir möchten heute mit Ihnen über die wirtschaftliche Situation der Firma sprechen. Ich bedaure, dass es bei Ihnen keinen Wirtschaftsausschuss gibt, weil die techno AG ja nicht die erforderliche Größe besitzt …“

Das können wir ändern. Gleich die Gelegenheit beim Schopfe packen. „Möchten Sie einen haben?“ frage ich. „Wir können ja in einer freiwilligen Vereinbarung einen Wirtschaftsausschuss errichten.“ Geizdorf weiß wohl nicht, was er sich damit einhandelt. Ein Wirtschaftsausschuss hat Rechte, wirtschaftliche Informationen
zu verlangen, die ein Betriebsrat nicht hat.

„Nein, das brauchen wir nicht.“

Aha, war bloß hohles Gewäsch. Wenn’s konkret wird, kneifst du. Ich lächle wieder brav.

„… Ich bin jedoch immer der Meinung gewesen“, fährt Geizdorf in seinem Vortrag fort, „dass eine frühzeitige Einbeziehung des Betriebsrats bei der Sanierung eines Unternehmens erforderlich ist. Ohne den Betriebsrat läuft nichts …“

Er will uns Honig um den Bart schmieren.

„… Wenn Sie sich die Entwicklung der Firma anschauen, dann hat sie in den letzten fünf Jahren fast 15 Millionen Euro Verlust gemacht. Ich mag eigentlich lieber in D-Mark denken, also es waren fast 30 Millionen Mark Verlust …“

Warum rechnest du nicht gleich in Lire? Dann kannst du von Milliardenverlusten sprechen.

„… Unter normalen Umständen müsste man die Firma dicht machen. Ja, man hätte sie schon vor zwei Jahren dicht machen müssen. Das Geld, was hier verbrannt worden ist, das haben die Arbeiter in Augsburg verdient …“

Nachtigall, ick hör dir trapsen. Willst du uns etwa erzählen, dass du den ArbeiterInnen in Augsburg einen müden Euro abgegeben hättest, wenn wir hier weniger Verlust oder sogar Gewinn gemacht hätten? Arme nicht verschränken!

Aus: Marinus Münster, „Dilldöppchen“, Geest-Verlag 2004)