Team Building

Christine – meine Frau – hat Kohlrouladen mit einer Hirse-Füllung und Kartoffelbrei gemacht, dazu eine große Schüssel Salat. Die Idee mit der Füllung hatte sie aus der Fleischabteilung vom Supermarkt. Die Leiterin ist Vegetarierin und hatte ihr neulich Bratlinge aus Hirsen verkauft. Chris hat mit Vegetariertum nicht viel am Hut aber wenn’s gut schmeckt, dann …

„Du bist überhaupt nicht da! Genauso gut könnte ich alleine essen.“ Chris ist enttäuscht, dass ich ihr Essen nicht würdige, sondern stattdessen in die Gegend stiere.

Ich erzähle ihr von meinem Gedanken mit der Arbeitsgruppe, dann kommt das Gespräch auf das Kickoff-Meeting* vom Juli.

„Das war, wie du mit Buchenstab-Latschen auf die Kletterwand bist“, lacht Chris.

Es war ein bisschen anders, aber fast so: Ringolf hatte vorher nicht genau rauslassen wollen, was für ein Begleitprogramm er vorhatte. Es sollte ein wenig Überraschung dabei sein. Aber feste Bergschuhe sollten wir mitbringen, was ich nicht ernst genommen hatte. Seitdem ich mir mit eben diesen bei einem Abstieg die Zehennägel ruiniert hatte (wochenlang konnte ich keinen Schritt mehr ohne Schmerzen laufen) gehe ich schon seit vielen Jahren trotz aller von Schuhindustrie und Bergwacht verbreiteten Warnungen nur noch mit BuchenstabLatschen in die Berge. Nur im Geröll, im Schnee und bei wirklichen Klettertouren habe ich Stiefel an.

Ich habe mir gedacht, die werden irgend so eine Wandertour einplanen, dafür schleppe ich kein schweres Schuhwerk mit. Pustekuchen. Stattdessen standen wir dann vor einer Sportkletterwand. Nicht allzu schwierig, aber halt nur kleine Tritte. Ich hab mir bei einem Kollegen mit gleicher Schuhgröße die Stiefel geliehen, sonst hätte ich unten bleiben müssen. Dann waren da noch zwischen Bäumen in zehn Meter Höhe Seile und Stege gespannt, Schlappseile und alles Mögliche, wie auf einem Abenteuerspielplatz. Darüber Drahtseile, in die man die Karabiner der Klettergurte einhängen konnte, so dass wir gesichert herumbalancierten. Der Kollege brauchte natürlich seine Stiefel selber. So bin ich – um mir keine Blöße zu geben – todesmutig mit meinen Buchenstab-Schlappen auf den Seilen rumgeturnt und habe nur gehofft, dass mir keine Latsche von den Füßen fällt und ich mich dadurch zum allgemeinen Gespött mache. Es ging jedenfalls erstaunlicherweise gut.

„Auf einer Pappbrücke seid ihr auch balanciert“, erinnert mich Chris.

„Ja, das war die Teambuilding-Übung“, erzähle ich. Wir sollten eine Brücke aus Papier und Pappe bauen, auf der auch jemand stehen konnte. Und unter der auch noch zwei Euro-Boxen Platz haben sollten. Das waren die Bedingungen, ansonsten waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Herr Dr. Wilfried Wagner bot sich sogleich als Projektleiter für den Brückenbau an. (Es hätten vielleicht auch andere gerne gemacht, wollten sich aber wohl nicht vordrängeln.) Stefan Schwarz, unser Hardware-Fachmann, entwarf die Konstruktion aus waagerechten Pappsäulen mit dreieckigem Querschnitt für die Trittfläche. Wir falteten und klebten brav wie im Kindergarten. Andere steckten eingeschnittene Pappen kreuzweise zusammen. Darauf sollte die Trittfläche zu liegen kommen. Suad Brazzi rollte während der Diskussionen um die beste Konstruktion Zeitschriften zu kompakten kurzen Stäben, die sich dann als sehr hilfreich erweisen sollten, und zwar zur Stabilisierung der Dreieckssäulen, die bei tatsächlicher Begehung in der Mitte einzuknicken drohten.

„Lauter Mathematiker und Spezialisten am Werk …“, kommentiert Chris lachend.

„… und die Brücke hielt“, ergänze ich zufrieden. Ganz vorsichtig bestieg ich sie damals. Danach stellten sich noch zwei andere drauf, dann noch jemand, zum Schluss waren sechs oben. Da wurde mir dann doch etwas mulmig. Mehr hätte sie wohl nicht ausgehalten. Sie wankte schon ziemlich gefährlich.

Umberto hatte, wie ich erst später erfuhr, eine wesentlich einfachere Konstruktion vorgeschlagen: Auf die zwei Euro-Boxen ein paar Pappen drauf legen und: fertig. Aber das war den anderen nicht „brückenmäßig“ genug. Um die Ecke denken, ist unter uns Fachidioten eben nicht üblich.

Umberto meinte am Abend beim Bier: „Die Leute denken, die Pappbrücke müsse einer realen Brücke ähnlich sein. Aber das war überhaupt nicht verlangt. Mein Vorschlag hätte die geforderten Bedingungen erfüllt.“ Ich gab Umberto Recht.

„Schade eigentlich“, sinniere ich heute gegenüber Chris, „dass wir so oft geniale Einfälle nicht als solche erkennen und immer nur in eingefahrenen Gleisen denken.“

*) Motivationsveranstaltung, oft kombiniert mit Betriebsausflug

Aus: Marinus Münster, „Dilldöppchen“, Geest-Verlag 2004